123yxc hat geschrieben:
Stimmt, die gefühlte Ausländerquote ist in Gera sicher viel höher als die Tatsächliche. Liegt vielleicht nur daran, dass man jeden Araber, Afrikaner und jede Kopftuchträgerin sofort als solche auch erkennt.
Ich vermute, es liegt daran, dass das unmittelbare Stadtzentrum ebenfalls Treffpunkt und Brennpunkt ist. Das wäre so, als wenn in Berlin das alles auf der Friedrichstraße oder in Hamburg auf der Mönckebergstraße stattfinden würde. Tuts nicht - da läuft die Touri- und Shopping-Elite herum. Will man Elend sehen, muss man in Berlin z.B. nach Moabit, nach Wedding, nach Neukölln - oder alternativ für das deutsch- und russischstämmige Elend - in die ostberliner Außenbezirke (aber nicht so weit draußen, daß es schon wieder "Speckgürtel" ist). Selbst auf dem inzwischen völlig verrotteten Alexanderplatz (die Weltzeituhr ist kein guter Treffpunkt mehr, es sei denn, man will seine nicht-Berliner Freunde mit einem ganz anschaulichen Beispiel der Verrottung dieses Landes schocken) geht das massiv vorhandene psychosoziale Elend im Strom der kaufsüchtigen Touristen weitgehend unter.
Ich habe in meinem Berliner Umfeld übrigens niemanden, der irgendein Problem mit hinsichtlich der Nationalitäten bunt gemixter Gesellschaft hat, im Gegenteil. Und diese Leute habe ich mir nicht deswegen ausgesucht, die meisten waren Arbeitskollegen bzw. sind Zufallsbekanntschaften vom Badestrand (u.a. ein Biologe mit eigener Firma sowie eine freischaffende Hardware-Entwicklerin, Philosophin und Autorin) oder einstige Rundfunk-Leute. Der längst pensionierte Rundfunk-Ingenieur regt sich über seine Landsleute (er ist Sachse) auf ("benehmen sich wie Hinterwäldler"), die über 90-jährige Rundfunk-Ingenieurin schleppt so langsam ihren Hausrat in die Flüchtlingshilfe und erzählt dann von der Zeit um 1945, wie sie in Potsdam von den Russen rausgeworfen wurden und sich ihr Nachbar am Fensterkreuz seines Wohnhauses aufgehängt hat, weil er sein Haus nicht verlassen wollte.
123yxc hat geschrieben:
Die oben beschriebenen Einwohner, also die Tätowierten in ihren Kik Klamotten, dem Sternburger und der Kippe in der Hand, dabei einen Kinderwagen vor sich herschiebend und das Smartphone mit Gerschen -Slang fütternd, nimmt man hingegen kaum (noch) wahr. Weil es normal ist, man sich daran gewöhnt hat, weil es so viele sind.....? ich weiß es nicht.
Nimmt man in dieser Szene "Sterni"? Kenne mich da nicht aus, ich trinke keinen Alkohol. Dachte bislang, das wäre die Punker-Grundversorgung.
Also mir fallen sie auf, wann immer ich in die Stadt gehe, wenn ich in Gera bin. Mir fallen sie auch in Untermhaus auf, wenn ich in Gera bin. Mich irritieren inzwischen auch einige deutsche "neu-Untermhäuser", so finster, wie sie blicken (wobei darüber auch eine Bekannte aus Jenas teuerster Ecke klagte und das zeitlich bedingte Ableben der einstigen liebevollen kauzigen Professoren in ihrer Umgebung bedauert). Hofwiesenpark an sonnigen Frühjahr-Wochenenden ist für mich auch immer wieder Schock pur. Ich bemerke da schon einen Unterschied zu Jena, Berlin und anderen Orten, die ich etwas besser kenne.
Und jeder (!) nicht-Geraer, den ich einst in die Stadt lockte, um ihm die tatsächlich vorhandene Schönheit der Stadt zu zeigen, war irritiert: die Stadt ist ja wirklich nett, aber die Leute... Es fällt auf, beginnend am äußeren Erscheinungsbild, sich fortsetzend bei Sprache sowie Art des Umgangs mit den eigenen Kindern. Massiv. Hingegen verstört die gleichen Leute nichts, wenn sie von Mainfranken, Heidelberg oder München nach Jena kommen. Vermutlich auch nur, weil sie nicht nach Winzerla oder Lobeda gehen. Und manche Jenenser und auch Jenaer spotteten bereits vor 10 Jahren über meine Heimatstadt: primitiv, überaltert, aussterbend. Hat mich damals mehrfach zur Weißglut gebracht, deshalb hatte ich dann auch damit begonnen, Leute nach Gera zu schleppen. Hätte ich das an Tagen gemacht, an denen die Bevölkerung Gruppenausflug hat, wäre wohl sogar ein positiver Eindruck hängengeblieben.
Ich habe in Jena Väter kleiner Kinder kennengelernt, die würden in Gera vermutlich nie eine Frau bekommen (und damit nicht Vater werden können), weil ihr Erscheinungsbild nicht zum hiesigen "Beuteraster" passt. Die sind von der Physiognomie her völlig anders, die würden in Gera wie Exoten auffallen (less musles, more brain).
watson hat geschrieben:
Zahl der Ausländer in Thüringen wächst - Anteil an Bevölkerung gering -
https://www.thueringen24.de/erfurt/arti ... mpaign=ampDemnach in Erfurt ca. 6,7% und in Jena ca. 8,7%.
Willkürlich rausgegriffen und gestaunt: Heidelberg Ausländeranteil 21% (an schlimmes Elend der dortigen deutschen Bevölkerung kann ich mich nicht erinnern, dafür an Lebensfreude und -kultur und ein volles Kino bei der Preview eines Filmes über Jane Goodall), Wiesbaden 16,8% (ja, die Mieten sind derbe). Außer Konkurrenz (da völlig andere Modalitäten): Wien mit 19,6% oder z.B. Interlaken (Schweiz, Berner Oberland, gilt als "strukturschwache Region") 30% bei 5757 Einwohnern. Und ein mir bekannter Rundfunk-Techniker aus Interlaken antwortete auf die Frage, was ihm an der Region am meisten gefalle: "Die Landschaft und die multikulturelle Gesellschaft ". Der Mann ist Schweizer. Die verstehen zu leben. Wir Ostdeutschen verstehen zu leiden und zu neiden.
Sieht so aus, als sollte man mal dringend paar "Wahrnehmungs-Schrauben" in Ostdeutschland neu justieren. Der neue Ostbeauftrage der Bundesregierung geht aber den genau entgegengesetzten Weg und wird für mich damit zum Rechtfertigungsbeauftragten. Und ich werde also wohl weiterhin überall dort, wo mich Westdeutsche oder Schweizer als Ostdeutschen erkennen, gefragt werden, warum "wir" solche Rassisten und Fremdenfeinde sind. Das passiert mir an den unerwartetsten Orten, wenns sein muß auch auf der Insel Rügen, wenn Wanderer aus Westdeutschland mich nach dem Weg fragen und man meinen ostdeutschen Dialekt erkennt oder bei der Querung einer den Wanderweg überspannenden Kuhweide in der Schweiz.
watson hat geschrieben:
Das ist nicht leicht dahergeredet- das nervt mich einfach, das bei jedem Thema die Ausländer schuld sind.
Aber die Geraer fühlen sich halt schon "ganz unten" im Bundesdurchschnitt gesehen. Auf wen sonst sollten sie denn ihr Elend noch schieben, wenn sie es - psychologisch verständlich - nicht da lassen wollen, wo es seinen Ursprung hat: bei ihnen selbst?
Lea hat geschrieben:
Leute in Deutschland mit Migrationshintergrund: knapp 23%, mehr als die Hälfte davon hat ausländischen Pass. Migrationshintergrund bei Hartz 4 Empfängern: >50%.
Die knapp 23% finde ich jetzt grob hier wieder:
https://deutsche-wirtschafts-nachrichte ... gestiegen/Das ist "Migrationshintergrund". Dazu das Statitische Bundesamt:
Die Definition des Migrationshintergrundes lautet wie folgt: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt.“
Die Definition umfasst im Einzelnen folgende Personen:
1. zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländer;
2. zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte;
3. (Spät-)Aussiedler;
4. mit deutscher Staatsangehörigkeit geborene Nachkommen
der drei zuvor genannten Gruppen.Demnach sind die Kinder bereits in "Sippenhaft" hinsichtlich des Status' genommen worden und es genügt dafür bereits ein nicht-deutsches Elternteil. Sind halt dann keine "Bio-Deutschen"....
Mehr dazu (es ist tatsächlich kompliziert, die schauen auch noch nach, ob die Kinder mit den einst eingewanderten Eltern im gleichen Haushalt leben) hier:
https://www.destatis.de/DE/Publikatione ... 167004.pdf - rechts im anklickbaren PDF "Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus - Fachserie 1 Reihe 2.2 - 2016".
Dabei habe ich so manche nicht-100%-Deutschen erlebt, die weitaus besser für eine zukunftsfähige deutsche Gesellschaft geeignet wären als mancher "Ur-Deutsche". Der türkische Taxifahrer in Mainz, der den DLF (fast nur Wort, und zwar deutsches Wort!) laufen hatte statt eines inhaltsfreien Blödfunk-Programms. Der fabelhafte einstige Praktikant an meinem Berliner Institut, ein DDR-Vietnamese. Der israelisch-amerikanische Physiker an meinem Institut. Der iranische Bauingenieur, der als Musiker arbeitet und uns zusammen mit seiner Frau (Österreicherin) mit wunderbarer Musik beglückt. Der syrische Mathematiker und seine Frau (Informatikerin). Die fallen mir gerade spontan ein. Mit denen würde ich sofort eine Stadt oder ein Land gründen oder auf einen Hof ziehen.
Vor einigen Wochen kam ich auf Heimat-Besuch mit einer überaus freundlichen, gepflegten und dermaßen professionellen Verkäuferin in einem Geschäft in der Geraer Innenstadt ins Gespräch. Stammt aus Westdeutschland, ist keine "Bio-Deutsche", hat was sehr schönes, aber "brotloses" studiert, konnte die Forschungen wegen Geldmangels nicht fortsetzen und ist nach Gera gezogen, weil hier die Lebenshaltungskosten so niedrig sind (das ist ja mal ein Grund!). Sie leidet unter der Mentalität der Geraer, also unter dem ganz normalen, alle betreffenden Alltags-Grau. Es ist ein Kulturschock für sie. Dennoch ist sie zu allen Kunden sichtbar freundlich.
Es gibt eine andere Zahl, wenn man die Menschen mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit erfasst: das waren Ende 2017 bundesweit 10,6 Millionen entsprechend 12,5%. Mehr dazu hier:
http://www.zeit.de/news/2018-04/12/zahl ... -99-860028Lea hat geschrieben:
Migrationshintergrund bei Hartz 4 Empfängern: >50%.
Hast Du eine frische Quelle? Ich such mir den Wolf und finde nur alten Kram. Zahlen von vor 2-3 Jahren sind in diesem Kontext ja schon völlig veraltet.
Lea hat geschrieben:
Im guten alten Preußen und später im Reich gab's auch viele Zuwanderer, zum Teil sogar privilegiert, die kamen weil sie hier Wirtschaft und Wissenschaft betreiben könnten, und nicht weil sie vom Steuerzahler durchgefüttert wurden. Man lockt eben immer das an was den besten Nährboden findet.
Bitte nicht vergessen, es sind andere Zeiten. Zieh bitte mal die Kriegsflüchtlinge ab. Es ist ein Menschenrecht, sich einen Ort zu suchen, von dem man hofft, dort überhaupt erst einmal seines Lebens sicher zu sein. Ob man bei den Flüchtlingen, die kein akuter Krieg nach Europa / Deutschland getrieben hat, sondern "nur" Diktatur und Willkürherrschaft oder existenzbedrohende Not in den Herkunftsländern, allzusehr die Stirn runzeln darf, würde ich mir angesichts der Erinnerung an die lange Schlange in Kronach, an der es ganz vorne einen Stempel in den blauen Personalausweis gab und 100 DM dazu, nochmal gaaanz gründlich überlegen. Das war Komfort-Wirtschaftsflüchtlings-Tourismus (ich kenne Westdeutsche, die das "Wirtschaftsflüchtlinge" nannten):
(
http://www.merkur.de)
Und in Jena betreiben auch heute noch Ausländer Wissenschaft und Wirtschaft. Aus Gera ziehen dafür die ausländischen Ärzte wieder weg (2 sind mir zumindest bekannt)...