James T. Kirk hat geschrieben:
Einer meiner ersten (öffentlichen) Kommentare damals (ungefähr zum Jahreswechsel 1996/97) war folgender. "Ich habe ein Problem mit den meisten Leuten hier, offen aussprechen zu können, was ich denke. Jeder redet dir hier nach dem Maul, klopft dir auf die Schultern, lobt dich. Aber noch während dessen wetzen sie die Messer, um sie dir in den Rücken zu jagen!"
Ein ähnliches "Grundgefühl" habe ich teilweise auch, wenn ich in Gera bin - und zwar in jeglicher Richtung. Am Verhalten mancher (nicht aller, nicht der Mehrheit!) aus der dortigen Nachbarschaft kann ich nichtmal klar ablesen, ob sie mich verarschen wollen, ob es Bösartigkeit ist, ob es einfach eine sehr spezielle, mir nicht zugängliche Form von "Humor" ist und generell, was sie von mir wirklich halten. Das würde ich vermutlich nur erfahren, wenn ich unsichtbar bei ihnen mit am Küchentisch säße. Sowas ist für mich verunsichernd und verstörend.
Ich kenne es aber auch in umgekehrter Richtung aus der eigenen Herkunftsfamilie heraus auf andere in der Nachbarschaft gerichtet. Interessanterweise betraf das da nur die "Gerschen" aus meiner Herkunftsfamilie (u.a. betraf es meine bereits in den 1980er Jahren verstorbene Großmutter), während meine aus Südthüringen zugezogene Mutter solches Verhalten weder kannte noch pflegte oder pflegt - und mit solchem Verhalten auch anfangs sehr schlecht klar kam. Hier könnte sich möglicherweise sich eine Geraer "Spezialität" zeigen, zumindest jedoch etwas, das nicht neu und nicht erst eine Nachwende-Erscheinung ist.
James T. Kirk hat geschrieben:
wer um dem Vorgänger eins auszuwischen
Mein Eindruck: nicht nur "dem Vorgänger", sondern gerne jedem anderen. "Jeder" nahezu beliebig "jedem". Auswischen, in-die-Pfanne-hauen, sich über das Scheitern des anderen freuen. Deshalb auch meist gegeneinander und sich blockierend. Und wenn der andere nicht wie erhofft scheitert, dann kocht der Neid hoch. Teils treibt das aus Unwissenheit über die realen Zustände bizarre Blüten, wird Neid geschürt bei Dingen, auf die man, hätte man sie selbst, gar nicht mehr so neidisch sein würde.
James T. Kirk hat geschrieben:
Solange die Parteien, die irgendwelche Kandidaten zur OB-Wahl oder Stadtratswahl stellen, kein Interesse daran haben, (eine/n) Vertreter/in(nen)

an die Front zu schicken, der/die nicht nur Hirngespinste verfolgt, sondern auch mal schrittweise kleine Erfolge erringen und auch feiern kann - solange wird sich am hiesigen Niedergang nix ändern.
Da ich das nicht weitergehend beobachte: für wie realistisch hältst Du ein Erringen "kleiner Erfolge" durch wen-auch-immer in einer Atmosphäre, in der doch jeder nur hofft, dass der andere scheitert? Ist das überhaupt möglich oder ist das aussichtslos in dieser Atmosphäre?
James T. Kirk hat geschrieben:
Es gibt derzeit in der Stadt eine erstaunliche Anzahl von teils jungen Unternehmern, die etwas bewegen wollen. Nur trotz verschiedener Versuche kommt eine Kommunikation mit der OB nicht in Gang.
Ist für mich sehr interessant! Mich würde da mal interessieren, wer da alles aktiv ist, also welche Branchen da versuchen, in Gera etwas zu bewegen. Gerne auch im direkten Kontakt, wenn ich mal wieder im Deltaquadrant bin.
James T. Kirk hat geschrieben:
Ich habe in dieser Zeit 3 OB-Wahlen in dieser Stadt miterlebt. Wenn bei der vierten der dusslige Durchschnitlichsgersche nicht mal überlegt, wen er denn wählt, dann geht´s hier stetig weiter steil bergab und der Fisch stinkt immer noch am Kopf und stopft sich die Taschen voll ...
Wer hätte denn reale Chancen, was zum Guten (!) zu bewegen, wenn die Randbedingungen dazu wie beschrieben sind?
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pfiffikus hat geschrieben:
Radiowaves hat geschrieben:
Die eben bis dahin führt, daß z.B. eine Arztfamilie, die sich naiv in Gera ein Haus hat bauen lassen (der Job war halt hier) nach 3 Monaten wieder wegzog und sich in Jena eine Mietwohnung suchte.
So? Die haben das während der Planungsphase, während des Bauens und bei ihrer Arbeit in Gera noch nicht bemerkt?
Bist Du Dir sicher, dass hier Anlass und Ursache dieselben sind?
Ich kenne ein paar mehr Details zu den Wegzugsgründen, werde die hier aber nicht öffentlich machen. Es ging dabei jedenfalls um Gründe im Bereich des "Geraer Klimas". Und tatsächlich: da ist man offenbar davon ausgegangen, ein ähnliches gesellschaftliches Klima wie in den besser beleumundeten Gegenden von Jena vorzufinden und hat sich ein Haus bauen lassen, ohne vorab wenigstens mal paar Tage das Stadtbild genauer auf sich wirken zu lassen. Einfach nur von der Autobahn an den Arbeitsplatz fahren und nach der Arbeit wieder zurück, reicht dafür halt nicht. Offenbar schon gar nicht, wenn der Arbeitsplatz generell eher ein Ort der Hochqualifizierten ist und etliche der Kollegen auch täglich von auswärts einpendeln. Der richtige Sozialkontakt zu Gera kam wohl tatsächlich erst nach dem Umzug. Da wars dann zu spät...
Weiß eigentlich jemand, warum die Augenärztin, deren Terminvergabe-Schlange den Sprung in die Tagesschau schaffte, nach kürzester Zeit Gera wieder (Richtung Zwickau?) verlassen hat? War war denn da der Grund?
pfiffikus hat geschrieben:
Radiowaves hat geschrieben:
Und dann gibt es Orte, die befinden sich auch an nicht elektrifizierten Strecken (zumindest in Deutschland) oder haben gar keinen Bahnanschluß - und die Stimmung dort ist nicht so im Keller wie in Gera und die Leute kommen finanziell sehr gut über die Runden.
Das sind aber ganz sicher nicht die Orte, die gerne große Industrieansiedlungen anlocken würden, weil sie dringend gebraucht werden. Denn ab einer gewissen Größe des Industriebetriebes wird ein solcher Anschluss immer wichtiger. Und deshalb war und ist die Bahnverbindung ein Ansiedlungshemmnis.
Klar, ein großer Chemiekonzern braucht dann schon seinen eigenen Umschlagbahnhof, ein großes Logistikunternehmen ebenso. Aber selbst in Jena - haben Zeiss oder die Jenoptik noch Gleisanschlüsse? Wäre mir neu. Der Güterverkehr läut (leider) doch weitgehend auf der Straße. Auch wir wurden bei Schott mit Massengütern auf dem Straßenweg beliefert. An Zeiss an der Tatzendpromenade käme man bahnseitig gar nicht ran. Wenn die Jenaer Unternehmen jammern, dann über die Einstellung des Personen-Fernverkehrs. Da geht es nicht einmal direkt um den ICE, sondern generell um den Verlust umsteigefreier Verbindungen bis München, Berlin oder Hamburg mit "gehobener" Zugausstattung. Es gibt Pendler, die täglich Leipzig-Jena und zurück fahren. Die wollen dann auch während der Fahrt arbeiten, ohne dass ihnen an jedem Halt bei geöffneten Türen die Blätter vom Tisch fliegen. Es gibt Geschäftspartner, die in Berlin mit dem Flugzeug ankommen und dann ohne Umsteige-Streß in einem fremden Land bitte bis zum Zielort gelangen sollen.
Und so gesehen sieht es in Gera direkt an der Autobahn hinsichtlich Güter-Verkehrsanbindung nicht schlechter aus als für viele Unternehmen in Jena. Aber hinsichtlich Anzahl der Industriearbeitsplätze sieht es wesentlich schlechter aus...
pfiffikus hat geschrieben:
Heute haben es die Planer einfacher. Mit diesem wenigen Zugaufkommen auf dieser Strecke können sie einen Taktfahrplan im Stundentakt realisieren.
Es gibt auch westlich von Gera kaum noch eingleisige Abschnitte. 1988 begann ich wöchentlich nach Jena zu pendeln. Da lief es von Gera bis Töppeln eingleisig, von Töppeln bis Kraftsdorf zweigleisig, von Kraftsdorf über Hermsdorf bis Papiermühle eingleisig (Kraftsdorf bis Kreuzung A4 war außerdem bis 1993 in einem baulichen Zustand, der nur "gehobene Schrittgeschwindigkeit" zuließ), Papiermühle bis Stadtroda zweigleisig, ab Stadtroda bis Neue Schenke eingleisig. Heute sind nur noch die Abschnitte Gera-Töppeln und Hermsdorf-Papiermühle eingleisig - da kann man schon deutlich flexibler planen.
pfiffikus hat geschrieben:
Hier vergisst Du den Teil der Antwort, den Du einige Zeilen weiter oben schon geschrieben hattest.
Zitat:
Schaut man dann genauer hin, stellt man fest, daß eine bereits bestehende und anerkannte große Universität vor Ort offenbar entscheidender Katalysator für solche positiven Entwicklungen ist.
Und genau das hätte nach meiner Meinung der Zweck der Ansiedlung der Fachhochschule in Gera sein sollen.
Da wäre dann beides neu gewesen: eine neue FH an einem Ort, der eine solche Einrichtung bislang nicht hatte - und diese neue FH hätte Industrie anlocken sollen. Ob sich dabei nicht wieder ein Henne-Ei-Problem herausgebildet hätte? Wer weiß... Ich hatte was von "bereits bestehende und anerkannte große Universität" geschrieben. Da war eine Einrichtung schon vorhanden. Umgekehrt war in Jena die optische und messtechnische Industrie vorhanden und bot damit gewisse Sicherheit für die Etablierung der FH. Der Weg der höheren Erfolgsaussichten - ich kanns nachvollziehen, auch wenn es freilich für Gera sehr nützlich gewesen wäre, eine angesehene, große FH hier zu haben.
pfiffikus hat geschrieben:
Es könnte aber auch ein Henne-Ei-Problem sein. Die Leute haben eben inzwischen ihre eigene,jahrzehntelange Erfahrung mit den "blühenden Landschaften" gemacht, die sich nicht mit Erfahrungen aus Jena und Erfurt deckt.
Haben sie. Mehr als 25 Jahre lang. Aber auch auf der Demütigung (und so dürfte das Empfinden gewesen sein) durch die Deklassierung von der Bezirks-, Wismut- und Industriestadt zum "Nichts" kann man nicht ewig "aufbauen", denn diese Art von Aufbau ist eigener Abbau. Da herauszukommen, ist extrem schwierig, das will ich nicht leugnen. Ich habe als nicht-Manager und nicht-Unternehmer auch kein selbst erprobtes Konzept dafür in der Tasche...
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Simson hat geschrieben:
Das Land Thüringen überweist übrigens jedes Jahr mehr als 10 Millionen Euro Steuermittel, damit die TPT Theater und Philharmonie Thüringen GmbH betrieben werden kann. Von den Einnahmen alleine in Höhe von etwa 2 Millionen Euro im Jahr durch Kartenverkauf und Abonnements ginge dies nicht.
Und diese Förderung dient dann wieder nicht nur Gera, sondern dem Erhalt eines wichtigen Teils der Kulturlandschaft Ostthüringens mit Ausstrahlung bis ins Vogtland, Westsachsen, Mittelthüringen. Mit dem Zahlenverhältnis liegt man übrigens weitgehend ähnlich zu Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen - aber deutlich ungüsntiger als z.B. in Bayern, Berlin und Hamburg:
http://www.buehnenverein.de/de/publikat ... c06d44b29e Punkt 5.