Gera, Stadt im Fürstentum Reuß j. L., Haupt-stadt der gleichnamigen Herrschaft oder des unter-ländischen Verwaltungsbezirks,
liegt anmutig im Thal der Weißen Elster, ist Knotenpunkt der Linien
Weißenfels -G. und G.-Eichicht der Preußischen wie der Linie Gößnitz-G. der Sächsischen Staatsbahn und
der Eisenbahn Weimar-G.
und hat, nachdem sie durch den Brand von 1780 fast ganz zerstört wurde,
ein neues und schönes Ansehen erhalten, das vorzüglich seit 1850 noch durch Anlegung mehrerer neuer Stadt-teile gehoben ward. Charakteristisch für den alten Stadtteilfind die hohen, fast immer mit Felsenkellern versehenen Häuser. Bemerkenswert sind besonders das fürstliche Schloß am Iohannisplatz sowie das altertümliche Rathaus. Auf dem Iohannisplatz steht
das Standbild des verdienten Fürsten Heinrich Post-
humus (gest. 1635). Die Bevölkerung beläuft sich (1885) inkl. Garnison (1 Infanteriebataillon Nr. 96) auf 34,152 Seelen, darunter (1880) 259 Katholiken. Die
Industrie ist sehr bedeutend. Obenan steht die Wollwaren-manufaktur, begründet von Ni-kolaus de Smit, welcher 1595 von Flandern her einwanderte ;
sie umfaßt 23 Etablissements
mit einem jährlichen Umsatz von 18 Mill. Mk. Für Fabri-kation von Kammgarnstoffen sind ca. 2500 mechanische Web-stühle aufgestellt. Mehrere Kammgarnspinnereien, Stück-särbereien und Appreturan-stalten unterstützen diesen Industriezweig. Bedeu-tend sind auch die Leder.-, Tabaks- und Zigar-ren-, insbesondere aber die von Wien hierher ver-pslanzte Harmonikafabrikation. Die jährliche Pro-duktion der acht Fabriken (mit ca. 1500 Arbeitern)
beträgt etwa 15,000 Stück Melodions, 300,000 Ak-
kordions und 250,000 Dutzend Mundharmoniken. Außerdem besitzt G. Maschinenbau und Eisengieße-rei, Wagenfettfabrikation, große Buch- und Stein-dr.uckereien, Bierbrauereien, zahlreiche Kunstgärtne-reien mit starker Blumenzucht etc. Der lebhafte Han-del, vermittelt durch eine Reichsbankstelle, die Geraer Bank, eine Gewerbe- und eine Handels- und Kredit-bank, befaßt sich außer mit den heimischen Erzeug-nifsen mit Landesprodukten, Mehl, Öl, Spiritus etc. Groß ist die Zahl der Buchhandlungen: 7 Firmen, darunter 4 Verlagshandlungen. G. hat 2 Kirchen, ein Gymnasiuni (1608 gegründet), eine Realschule erster Ordnung, eine Handels- und kaufmännische Hochschule, vorzüglich organisierte Bürger- und Volksschulen, zum Teil in mustergültig eingerichteten neuen Gebäuden, eine Fachwebschule, ein .Waisen-haus, eine Privatirrenanstalt, ein Landesarbeitshaus, ein Theater und ist Sitz der Landesbehörden für Reuß j. L., eines Landratsamtes, eines Landgerichts (für
die acht Amtsgerichte zn Auma, G., Hirschberg a. S.,
Hohenleuben, Lobenstein, Neustadt a. O., Schleiz und Weida), eines Hauptsteuerumtes und einer Handels-kammer.
G. gegenüber, am linken Ufer der Elster,
liegt der Ort Untermhaus mit (1885) 3220 Einw.;
über demselben, am Abhang des bewaldeten Hein-bergs, das fürstliche Residenzschloß O st erst ein mit vielen Kunstschätzen. - G., in Urkunden Gera h a, verdankt seine Entstehung wahrscheinlich den Sor-ben, gehörte seit 999 dem Stift Quedlinburg und wurde zu Ende des 12. Iahrh. den Vögten von Weida (s. Reuß) überlassen, während die Lehns-
hoheit über G. zu Anfang des 14. Iahrh. an Thürin-gen fiel. Im sächsischen Bruderkrieg ward G. 15. Okt. 1450 vom Landgrafen Wilhelm III. von Thüringen
nach langer Belagerung gestürmt und von den boh-mischen Hilfsvölkern des letztern niedergebrannt. Im
Vertrag zu G. 1599, der 1603 in Ansbach bestä-tigt wurde, überließ Kurfürst Joachim Friedrich
von Brandenburg die fränkischen Fürstentümer sei-nen Stiefbrüdern. Am Osterfest 1639 wurde G. fast zur Hälfte von den Schweden verwüstet. Die große Feuersbrunst vom 18. Sept. 1780 legte 31 ösfent-liche Gebäude und 686 Bürgerhäuser in Asche. Auch in den Kriegen von 1806 bis 1814 ward G. hart mit-
genommen. - Die Herrschaft G., 240 qkm groß,
war seit Mitte des 13. Iahrh. Besitztum einer eig-
nen Linie der späteru Fürsten von Reuß, siel 155.0 an die Plauensche Hauptlinie und wurde 1666 mit Saalburg einer Speziallinie zugeteilt, nach deren Aussterben (1802) die Herrschaft an die Fürstenhäuser Reuß -Schleiz und Reuß -Lobenstein -Ebersdorf fiel, welche die Regierung gemeinfchaftlich führten. (Wei-
teres f. Reuß.) Vgl. F. Hahn, Geschichte von G. und dessen Umgebung (Gera 1855, 2 Bde.); Fischer,
Die Stadt G. und ihre kommunalen Einrichtungen
(das. 1878); "Urkundensammlung zur Geschichte der Herrschaft G. im Mittelalter" (hrsg. von Alberti, das. 1882).
Quelle:
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