tlz-online am 04.01.05
Wurstproduktion in vierter Generation in der Schloßstraße
Von Sylvia Eigenrauch Gera. Fast unbemerkt verstrich gestern das 125-jährige Jubiläum der Fleischerei Kaiser in Geras Schloßstraße. Nach Feiern ist Georg und Ursula Kaiser nicht zumute. Die Löcher, die die Straßenbaustelle in die Firmenkasse riss, sind noch nicht gestopft.
Und so lautet der Jahressatz der Chefin: "Wenn´s alte Jahr erfolgreich war, dann freue dich aufs neue und wars schlecht, dann erst recht". Ihr Mann, der 56-jährige Georg Kaiser, ist Inhaber der Fleischerei in vierter Generation und hofft, dass der Betrieb der langen Tradition der Altvorderen Rechnung tragen kann. "Aber versprechen können wir nichts", sagt er.
Am 3. Januar 1880 eröffnete sein Urgroßvater Carl Friedrich Kaiser die Fleischerei mit Laden in der Schloßstraße. Sein Sohn mit gleichem Vornamen übernahm den Betrieb 1914. In den 30-er Jahren erweiterten die Großeltern Fleischerei und Fachgeschäft. Eine Imbissstube mit Feinkostangebot kam dazu. Sie war dort, wo heute der Backwarenladen zu finden ist.
"Das Unikum im Laden war Oma Martha", erinnert sich Georg Kaiser. Nach dem Krieg stand sie in einer Ladenecke am Wurstkessel und verkaufte Fleischbrühe und Bockwürste. Für letztere war die Fleischerei schon in den 30-er Jahren bekannt. Die Würste wurden in Konservendosen gefüllt und nicht nur in Gaststätten in der Umgebung, sondern auch nach Übersee geliefert.
Mit der Handwerkerfeindlichkeit in der DDR und dem Rohstoffmangel musste die Familie die Imbissstube aufgeben. Obwohl er nie Fleischer werden wollte, absolvierte Georg Kaiser eine Berufsausbildung mit Abitur und wurde es doch. Danach studierte er Lebensmitteltechnologie an der Humboldtuniversität Berlin und war später vor allem als technischer Leiter im Schlachthof Gera tätig. Zwischenzeitlich übernahm 1970 sein Vater Ernst Kaiser den Familienbetrieb und gab 1982 auf, als er mit der Rekonstruktion der Innenstadt, einschließlich Fernwärmeanschluss, zu einem 300 000-Mark-Kredit gezwungen wurde. Da sprang Sohn Georg ein. Auf die Frage nach einem Familiengeheimrezept winkt der 56-Jährige ab. "Das ist Pipifax, bei uns gibt es keine Geheimnisse". "Unsere Roster sollen gut schmecken, sagen die Leute", gibt sich Kaiser bescheiden. Spezialitäten heute sind Fertiggerichte wie Topfbraten, Flecke und Suppen und seit kurzem verkauft er Biorindfleisch aus dem Orlatal. Nach der Wende eröffnete Familie Kaiser am 16. August 1990 das erste neu umgebaute Fleischerfachgeschäft in Gera. Seitdem lernten hier 23 Lehrlinge. Zur Stammbesatzung gehören heute neben dem Chef fünf Angestellte, sechs Lehrlinge und eine Aushilfe. Die 51-jährige Chefin Ursula Kaiser schulte zur Fleischfachverkäuferin um und gehört zum Prüfungsausschuss der Handwerkskammer. Die beiden Söhne werden den Familienbetrieb wohl nicht fortführen.
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