Untermhäuser Forum

Schaut doch mal selber, wo es schön ist!
http://www.bento.de/trip/brocken-und-ne ... d-1274533/


Pfiffikus,
der überrascht was, das heute zu lesen

wer einmal dort gewesen ist,
dem gefällt´s dann überall.

Ich hätte teils andere Fotos genommen, aber die anderen Orte in dieser Auflistung kommen dabei auch nicht unbedingt besser weg. Nur: "die besten Thüringer Klöße der Region" macht zweifellos meine Mutter und nicht irgendeine Gaststätte.

Ich mag Gera als Stadt, also als Ort, eingebettet in eine Landschaft. Schickte man mich los, Fotos "meines" schönen Geras zu machen, käme ich mit so einigen zurück. Klar, wir Geraer können manches davon nicht mehr sehen, aber ich vermute, auch Dresdner beten nicht täglich das Altstadtpanorama oder den Fürstenzug an.

Das geht für mich im Umland los. Bin gerade vergangenen Dienstag mal wieder mit dem Fahrrad durchs Eisenberger Mühltal. Mag ich. Die Fahrt von Norden nach Gera rein, durch Bad Köstritz, durch den Park, die Elster lang, Vogelsiedlung, Gagfah-Siedlung, Schafwiesen-Siedlung. Alles schön. Die Ecke um die Untermhäuser Kirche, der Hofwiesenpark, das Gessental. Die Weiße Elster im Winter bei Eis und Nebel unterhalb des Schlosses. Die kalte Eiche. Der Stadtwald. Der Radweg nach Wünschendorf und weiter durchs Elstertal nach Berga. Kloster Mildenfurth. Und in Gera gibt es formal auch viele gute Sachen: das Hofwiesenbad, Villa Schulenburg, etliche andere stattliche Häuser, diverse Plastiken, die Museen, Kirchen, das Theater, das KuK von innen, Garten-Fiedler (kein Witz, könnte ich mich in dieser Jahreszeit stundenlang im Freigelände und der Pflanzenhalle aufhalten). Im alten Bahnbetriebswerk ist dieses Wochenende wieder die 01 519 der Eisenbahnfreunde Zollernbahn zu Gast, ich hörte die Lok und zog los, sie zu finden. War dann dort - es war ein wenig wie in einer geruhsameren Zeit.

Ja, prinzipiell könnte ich mir vorstellen, in einer solchen Gegend zu leben. "Es gibt schlimmeres" wäre eine Formulierung, die an Bösartigkeit grenzen würde.

Dennoch zieht es mich weg. Aus rein menschlich bedingten "klimatischen" Gründen. Freundlichkeit und eine Weltsicht, die zumindest mehr Zukunftsfähigkeit erhoffen läßt, sind anderswo die wichtigsten Einladungen. Die Geraer Alltags"kultur" vertreibt mich regelrecht aus der Stadt. Noch mache ich das Spagat, meine Eltern brauchen massiv Unterstützung und ich mag mein Elternhaus als solches, aber leben (im Sinne von "Aufleben") tu ich woanders. Nein, weder in Berlin noch in Leipzig oder Stuttgart, sondern in einer Schweizer Bergregion. Bei natürlich atemberaubend schöner Landschaft, aber auch vor allem bei Menschen, bei denen ich eine Heimat fühle.

Schade, daß Gera aus so einer schönen Umgebung und einer Stadt mit so vielen schönen Ecken nicht mehr machen kann als das, was real dabei rauskommt und Menschen, die von anderswo progressives Klima kennen, zu einem "schnell weg!" regelrecht zwingt.

Wahrscheinlich sieht man eine Stadt als Besucher immer mit ganz anderen Augen, als wenn man dort (schon ewig) lebt. Aber Gera ist schön bzw. hat schöne viele Ecken. Man sollte als Einwohner halt stolz drauf sein und sich nicht wundern oder überrascht sein, wenn einen das mal einer von "aussen" sagt.

Ich habe zu meinen Jenaer Zeiten viel Spott wegen meiner Heimatstadt zu hören bekommen - auch von Leuten, die noch nie in Gera gewesen waren. Habe dann versucht, sie einzuladen. Es ist nur einmal geglückt. Dieser junge Kollege (Physiker, super genialer Typ, aus Mainfranken) konnte an der Stadt und ihrer Lage nichts übles finden, aber ihm fiel das völlig andere Bild auf, das die Menschen in Gera bieten. "Gerade mal 45 km weiter östlich und völlig andere Menschen" sagte er und ich wusste, was er meinte.

Eine aus dem Wartburgkreis stammende Freundin von mir empfand das auch, nur noch extremer. Sie erschrak sich regelrecht an den Menschen, so völlig anders als die, die sie aus den Orten kennt, in denen sie länger zu tun hatte (Jena, Erfurt, Heidelberg, Schweiz). Und sie hatte in allen Punkten Recht. Natürlich sieht man immer zuerst Äußerlichkeiten, aber ich bin ja nun so oft hier, daß ich auch teils hinter die Fassaden schauen kann. Und ich muß zugeben, es gruselt mich für Geras Zukunft. Fast jeder Stadtgang laugt mich energetisch völlig aus. Einmal durch Gera und ich verliere komplett die Hoffnung auf eine Zukunft für die Menschheit. Das geht mir weder in der Schweiz, noch in Jena und nichtmal in Berlin so.

Habe dieses Jahr schon 2 angenehme Familien kennengelernt (eine) / von ihnen über Freunde gehört (die andere), die Gera genau deswegen wieder verlassen wollen bzw. bereits wieder verlassen haben. Die eine hatte sich erst ein Haus bauen lassen, nun sind sie nach wenigen Monaten zurück nach Jena in eine Mietwohnung. Sie ertrugen die Stimmung in Gera nicht und ich kann das auch sehr gut nachvollziehen. Sie wollen auch ihr Kind hier nicht aufwachsen lassen. Klingt hart, ist hart, aber für mich nachvollziehbar.

Aber ja - als Stadt und Landschaft drumherum gab es an Gera nichts auszusetzen. Das Erschrecken kam immer erst durch die zumindest in der Öffentlichkeit sichtbare Mehrheit. Wer nicht weiß, was ich meine: einfach mal einen Tag in Jena in die Goethe Galerie gehen oder meinetwegen in Schwyz in der Schweiz ins Mythen Center (heißt so nach einem Berg in der Region) und dann einen Tag in die Gera Arcaden. Dann wird der Unterschied klar. Es geht sogar noch einfacher: einfach mal in den Lidl in dr Straße des Friedens und dann in den Lidl in Berlin Kiefholzstraße oder Jannowitzbrücke. Auch da ist der Unterschied zu sehen - und Berlin ist schon auf gewisse Weise prekär. Einfach mal die Gesichter der Menschen anschauen, auf ihre Kommunikation achten, auf das Bild, das sie von sich zeigen wollen.

Ein Trauerspiel.

In Gera gibt es eben nicht so viele Schauspieler.

Wenn mir was nicht paßt, dann zeige ich das öffentlich.
Da bildet sich auch mal eine Hassfalte über der Nase.

Radiowaves Ich weiß das sind alles Klischees und Vorurteile aber fahr mal mit der Straßenbahn von Jena-Ost nach Lobeda-Ost - da werden die Menschen auch wirklich sichtlich plötzlich anders Also was ich damit sagen will, es gibt überall solche und solche - macht nicht immer alles schlecht. Wenn in Gera alle komisch wären, gäbe es dieses Forum und viele andere schöne Sachen in Gera auch nicht.

Mit "Schauspieler" hat das nichts zu tun. Ich kenne Orte, an denen man um Authentizität ganz bewusst sehr bemüht ist - dennoch (oder: genau deshalb) strahlen die Menschen dort eine gewisse Selbstachtung, eine gewisse Würde aus. Das vermisse ich in Gera massiv. Abgesehen davon ist für die eigene Situation zum größten Teil nie jemand anderes verantwortlich (Ausnahmen z.B.: höhere Gewalt, Kriegshandlungen, Freiheitsentzug, teils Krankheiten, ...), sondern man selbst, deshalb ist das öffentliche zur-Schau-Stellen von Frust auch nicht sonderlich hilfreich, sondern führt in die Isolation. In Gera nicht, da führt es offenbar in die Stadt-Gemeinschaft...

Es geht ja nicht nur um so etwas. Es geht generell um die Haltung zur Welt, zum Planeten, auf dem wir zu Gast sein dürfen etc. Es geht ganz viel um Selbstachtung. Es geht darum, ob ich mich selbst gut behandele. Ich kann da massive Unterschiede wahrnehmen zwischen Gera und anderen Orten, an denen ich zu tun hatte oder habe. Natürlich gibt es fast überall einen gewissen Anteil an Menschen, deren Selbstverständnis und deren Weltsicht ihnen selbst potentiell eher schädlich ist. Aber diese Ballung, wie ich sie in Gera erlebe, die kenne ich tatsächlich von bislang nirgendwo sonst.



Das sind keine Vorurteile, das ist real doch tatsächlich so. Am einfachsten kann man das in Berlin haben: eine Runde Ringbahn-Fahren. Dauert genau eine Stunde und man hat alle 10 Minuten ein völlig anderes Bild im Zug. Von "bin ich hier eigentlich in Deutschland?" bis zu den inzwischen altersbedingt zur Ruhe gekommenen einstigen Hipstern im Bereich um die Schönhauser Allee, wo man dann so Anfang 40 beginnt, ein Kind zu planen, weil das ja gesellschaftlich gut angesehen ist und weil man es sich jetzt, wo man mit einem Vorzimmer-Referenten eines schwäbischen Bundestagsabgeordneten verheiratet ist, auch leisten kann, ist da auch alles dabei. Es sind völlig kaputte Leute dabei, es sind Leute dabei, die brabbelnd in der Ecke sitzen. Es sind Shopping-Queens und Schulkinder dabei, Studenten, erschöpfte Bauarbeiter mit Feierabendbier und Anwälte im Maßanzug. Was ich aber in dieser Mischung bislang nicht feststellen konnte, war diese Aura aus Frust und Angepisst-Sein.



"Alle" natürlich nicht. Ich kann ja selbst Menschen benennen, die zu meiner Beschreibung absolut nicht passen. Aber das Straßenbild bestimmen sie leider nicht.

Und nochmal: es fällt nicht nur mir auf. Es fällt Besuchern auf, die ich in die Stadt gelockt habe. Und zwar so heftig, daß sie verstört waren deswegen. Es fällt Leuten auf, die ernsthaft Gera als Wohnort in Betracht gezogen haben und dann davon deswegen Abstand nahmen. Kann also kaum an Wahrnehmungsverzerrung liegen.

Das erinnert mich schon sehr an das hier:

Linie 1 - Fahr mal wieder U-Bahn


Link zum Video