otz-online am 19.02.04
Bauarbeiter entsorgen legendären "Stasi-Tunnel"
Teil eines Röhrensystems bei Arbeiten an Bahnhofstraße freigelegt Von Katrin Wiesner Gera. Beim Bau des neuen Straßenbahntunnels zwischen Bahnhofstraße und Bärenweg haben jetzt Bagger ein Stück jüngere Geschichte freigelegt. Bauarbeiter stießen beim Erdaushub auf den so genannten "Stasi-Tunnel", um den sich in der Stadt Legenden ranken.
Ans Tageslicht gekommen ist eine doppelte Stahlröhre, deren innerer Ring immerhin einen Durchmesser von 1,80 Meter aufweist. Sie ist Teil eines Röhrensystems, das sich zwischen der alten MfS-Bezirksverwaltung in der Dienerstraße und der ehemaligen sowjetischen Kommandantur in der Bahnhofstraße (heute Dresdener Bank) erstrecken soll, von hier unter dem Bahndamm Richtung Theater führt und im Bärenweg endet. Für welchen Zweck das Rohrsystem einst angelegt wurde, ist nicht bis zum letzten Detail geklärt.
Genutzt wurde es jedoch offensichtlich für den heißen Draht zwischen MfS und KGB-Geheimdienstlern, die in Gera ihre Büros hatten. Die gekappten Leitungen sind noch heute zu finden. Reinhard Keßler von der Geraer Stasi-Unterlagenbehörde kann sich noch gut an ein öffentliches Forum kurz nach der Wende erinnern, als der unterirdische Bau zum Thema wurde. "Eine kuriose Geschichte", sagt er heute. Ein Bauarbeiter hatte den letzten Leiter des MfS in Gera, Oberstleutnant Trostorff, nach den "geheimen Gängen und Fluchtwegen" gefragt. Der Stasi-Mann habe achselzuckend erklärt, dass es sich lediglich um einen Kabelschacht handeln würde. "Wir sind damals der Sache nachgegangen", erzählt Keßler, "waren aber weder auf Unterlagen noch fundierte Hinweise gestoßen". Jetzt ist das Interesse erneut geweckt: Keßler machte sich noch gestern mit einer Mitarbeiterin auf den Weg zum freigelegten Relikt.
Bei der Beseitigung des Überbleibsels beißen die Bauarbeiter auf Granit. Denn die doppelte Röhre wurde Mitte der 90-er Jahre von der Telekom komplett mit Beton ausgefüllt, berichtet Uwe Sieg von der Bauüberwachung. Warum, weiß keiner. Die Bauarbeiter müssen mühsam die beiden Stahlschichten durchtrennen, hinter denen der Beton sitzt. Ein Bagger hämmert das Zeug heraus. Die Planer wussten zwar von der Existenz der Röhre, wie hartnäckig sie zu beseitigen ist, ahnten sie nicht. "Am Tag schaffen wir nicht mehr als vier Meter", sagt Sieg. Während des Baus der neuen Unterführung werden nun insgesamt 70 Meter des alten Systems entsorgt.
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