Abschlusserklärung vom “Campen gegen Nazis” in Gera, Juli 2014
Mit unzufriedenem Lächeln: Protestcamp Gera verabschiedet sich ins nächste Jahr!
Der Titel ist voll von dem, was uns bewegt: Wir sind unzufrieden, weil sich die Nazis versammeln konnten und schließlich wiederkommen werden. Wir lächeln, weil wir größtenteils umsetzen konnten, was wir uns vorgenommen haben, und das war nicht wenig. Wir kommen wieder, weil die Nazis entgegen anders lautender Hoffnungen nicht von allein fern bleiben werden.
Die Nazis erstmals ohne Wiese, räumlich beschränkter als je zuvor und auch insgesamt war die Situation für die Naziveranstaltung in Gera schon eine bessere. Und das Camp hat seinen Anteil daran. Die diesjährigen Bedingungen waren gut und auch wenn wir eine überwiegend positive Bilanz der drei Tage ziehen, bleiben wir dennoch zurückhaltend und skeptisch. Schließlich zeichnen sich politische Wetterlagen nicht gerade durch ihre Beständigkeit aus und auch behördliche Strategien werden sich bei Interessenkollisionen schnell ändern – und beides liegt nur bedingt in unserer Verantwortung. Somit blicken wir auf ein Protestcamp in entspannter Atmosphäre zurück, in dem wir bis auf (kleine) Unnötigkeiten unsere Ziele verwirklicht sehen.
An dieser Stelle bleibt uns also nichts anderes als Dank zu sagen, sei es zu den Menschen, die das Camp organisatorisch, inhaltlich wie rechtlich begleiteten, sei es zu den Leuten, die durch einen kurzen oder langen Besuch das Camp und seine Idee unterstützt haben. Wir danken den Leuten aus Gera, wir danken den Leuten anderer Orte.
Kritik am Protest(camp)
Ist zunächst einmal Selbstkritik: Dabei haben wir rückblickend verschiedene – auch bündnispolitische – Perspektiven diskutiert und sind uns einig, nichts Grundlegendes falsch gemacht zu haben. Im Gegenteil, wir sehen uns auf dem richtigen Weg – also etwas mehr, als “nur” die Kenntnis einer Richtung. Dass wir dabei Wünsche und Vorschläge zur Verbesserung mit ins nächste Jahr nehmen, ist in gegenseitiger Akzeptanz selbstverständlich. Diese ist dann nicht gegeben, wenn Leute uns mit Nazis gleichsetzen. In diesem Sinne sind auch im Dialog zum Protestcamp Nazis und Extremismustheorist*innen unerwünscht.
Weiterhin sollte die Kritik unterschieden werden: Wer Protest als Umgang mit gesellschaftlichen Schieflagen (oder diese selbst) nicht anerkennt, wird auch nichts vom Protestcamp halten. Genau in diesem Kontext entstehen Scheindiskussionen, in denen “Berufsdemonstranten”, die “nicht besser als die Nazis” sind, kommen und die Nazis aufwerten. Die nachfolgende Ignorierstrategie von Mehrheiten hat über Jahre hinweg öffentlichen Raum der Menschenverachtung und Bedrohung preisgegeben, dieser möchte jetzt zurück vereinnahmt werden. Wem dabei die Ausdrucksform “Familienfest” vorschwebt, kann eines machen ohne auf uns warten zu müssen. Schließlich braucht es für die eingeforderte positive Abgrenzung von Neonazis nicht unsere Anwesenheit.
Daneben soll es nicht immer nur “Anti” sein. Darin liegt aber genau genommen ein Entscheidungsluxus: Wenn Mensch nicht ein Feindbild der Nazis ist, oder zumindest nicht zu allererst, dann ist für ihn entscheidbar, wie immer Position zu beziehen. Menschen die hingegen – unabhängig, ob quasi Geburts- oder Lebensentscheidung – den Feindbildern der Nazis entsprechen, haben diese Möglichkeit oftmals nicht. Was bedeutet ein “Rock für Deutschland” für diese Menschen? Die Existenz der Bedrohung durch Nazis, ob für Menschen oder die Menschenrechte, ist ebenso historisch wie täglich neu begründet. Im Eigentlichen ist es denkbar einfach: Ohne Faschismus kein Antifaschismus, ohne Rassismus kein Antirassismus. Würde sich also die Gesellschaft durch ihren Nicht-Rassismus auszeichnen, bräuchte es keinen Antirassismus. Keine Nazis ohne uns! Wer mit Nazis leben kann, muss mit uns leben.
Von Nazis geht eine Bedrohung aus und diese wächst mit ihrer Präsenz. Dementsprechend ist diese über das NPD-Wahlkampfmobil kleiner als beim “Rock für Deutschland”, dessen Organisation trotz Anmeldung nicht allein der NPD zugerechnet werden kann. Nicht die Frage nach dem Ob gegen Nazis aktiv werden, sondern die nach dem Wie kann das unter Berücksichtigung der eigenen Möglichkeiten sinnvoll geschehen, sollte im Vordergrund stehen. Das wir dabei Minderheiten darstellen, ist uns bewusst. Wer aber von Mehrheiten spricht, sollte bedenken, dass Mehrheiten nicht automatisch das bessere Argument haben und richtig entscheiden, wie auch ein Blick in die deutsche Geschichte beweist. Davon abgesehen bilden regelmäßig die Nicht-Wähler*innen die größte Mehrheit in der parlamentarischen Demokratie. Minderheiten finden sich auch regelmäßig in Kunst und Kultur und diese gesellschaftlichen Bereiche sind auch und gerade in der Finanzierung gefährdet. Argumente wofür?
Zur bedeutungsvollen Feststellung: Beim Camp-Konzert gespielte Musik klingt wie die der Nazis. Musik ist ein Kulturgut und damit auch das der Subkulturen, welche Klänge und Gesänge dabei als schön empfunden werden, liegt bei den Hörenden. Wir kritisieren nicht die Musikstile, die die Nazis spielen, sondern die Inhalte, also die Botschaften darin. Welche das sind, zeigen die Nazis mehr oder weniger deutlich auf ihren Tshirts. Strukturelle Menschenfeindlichkeit und latente wie offene Gewalt(drohungen) sind in der Regel die auffallende Gemeinsamkeit – nicht nur an dieser Stelle ist Links ungleich Rechts. Beim ideologischen Hatecore und Rechtsrock der Nazis ist der Name Programm, bei Rockmusik und subkulturellen Hardcore eben auch. Wenn wir dieses Argument also gelten lassen sollen, dann nicht ohne es zu übertragen, z.B. auf Marschmusik und Balladen.
Platzhalter für Gegenkultur
Es soll nochmal kurz ausgeführt werden, was ein “Rock für Deutschland” unter verschiedenen – beispielhaften – Aspekten bedeutet: Für eine Stadt kann es zunächst ein Indikator sein. Wenn es die lokalen Nazistrukturen schaffen, jährlich in einer Veranstaltung mehrere hundert und auch schon mehrere tausend Besuchende zu verwalten, spricht das für eine eigene Qualität und dafür, dass ihre Abläufe ungestört funktionieren. Diese Angebotsstruktur ist mit der Besuchsstruktur nur dahingehend zu verbinden, als dass sie Mobilisierungspotential ausweist. Dieses ist jedoch von vielen weiteren Faktoren abhängig, weshalb uns Besuchszahlen und deren Gegenrechnen mit den Protesten oder Nicht-Nazi-Botschaften nur sekundär interessieren. Für die Frage, was daran “normal” sein soll, gibt es wieder bessere und schlechtere Beispiele als Gera.
Bei der Strategiewahl sind wir über viele Umwege beim Protestcamp gelandet und verstehen dieses dabei mittlerweile als Platzhalter für Gegenkultur. Der Konsens dabei ist einfach, aber haltbar: Willkommen sind alle Menschen, die sich als antifaschistisch und antirassistisch verstehen oder dieses anerkennen und unterstützen wollen. Dieser Konsens bleibt zunächst unser einziges Ausschlusskriterium, schließlich wollen wir Menschen einbeziehen und nicht aufgrund von zugeschriebenen Eigenschaften und Verhaltensweisen fern halten. Redet miteinander und nicht übereinander, entscheidet für euch und nicht für andere. Eine Überlegung soll diesen Konsens unterstreichen:Es sitzt ein Mensch im Protestcamp und freut sich, dass dort so viele verschiedene antifaschistische Menschen zusammen sind und merkt dabei nicht, dass er selbst Teil eben dieser Menschen ist.
Das Protestcamp bietet – und darin ist enthalten, dass es auch Nachteile gibt – als Protestform viele Vorteile. Der Raumbegriff soll es richten: Der öffentliche Raum – den im Übrigen auch Minderheiten nutzen – wird über einen bestimmten Zeitraum (Freitag: Aufbau/ Samstag: Konzert) zum Angst- und Gefahrenraum durch die Nazis. Demgegenüber bieten wir über einen längeren Zeitraum einen Schutz- und Freiraum, der frei ist zur Teilhabe und Mitbestimmung – in unserem Kontext ein Vorteil gegenüber Demonstrationen. Wo wir sind, wird kein Nazi sein. Dieser Gedanke war für die Besetzung der Veranstaltungswiese in 2013 ausschlaggebend, wenn auch von einem möglichen Umzug der Nazis inspiriert. In diesem Jahr mussten sie tatsächlich umziehen, auch wenn das nach wenig klingt, von alleine kam das nicht und vor allem war es nicht einfach.
In alle Überlegungen, unabhängig davon, wer diese anstellt, muss das Protestcamp als Vorhanden mit einbezogen werden. Wir stören aktiv die Angebotstruktur der Nazis und den stillschweigenden Frieden von Mehrheiten, so ist es einem Protestcamp gegen Nazis angemessen. Dass wir uns dabei auch vernünftig vergnügt mit Gegenkultur beschäftigen und dazu austauschen, ist doch nur logische Konsequenz. Einfache Lösungen für komplexe Probleme bieten (nicht nur) die Nazis. Und wo ein Nazi ist, sind meist mehrere. Das gilt aber auch für Antworten sowie für deren Fragen. Hier deutet sich Diversity (Vielfalt) an. Nicht die, sondern eine Antwort wird gesucht. Miteinander und nebeneinander als prinzipielle Grundgedanken setzen gegenseitige Akzeptanz voraus, und wenn es bis hier noch nicht deutlich geworden ist: (Nicht nur) Nazis sind kein Teil von Diversity, weil sie sie bedrohen und bekämpfen.
Enter the next Level
Wir wollen in der nächsten Auflage vom Protestcamp in Gera einiges anders angehen, wir möchten uns einen Tick verbessern und auch unser Programm etwas verdichten. Die verschiedenen Wünsche und Vorschläge wollen wir ermöglichen, wenn es möglich ist. Ganz im Sinne von Diversity gilt im Protestcamp als auch außerhalb: Wartet nicht, bis wer anders eure Ideen ausspricht oder umsetzt, denn es gilt auch hier, wer schweigt, stimmt zu. Wenn ihr nicht zueinander findet oder das zu lange dauert, dann organisiert euch nebeneinander.
Mit der Idee und der Tatsache, das “Rock für Deutschland” in die Ecke zu drängen und weiter Druck aufzubauen, können wir gut leben. Proteste nehmen der Angebots- und Besuchstruktur der Nazis gleichermaßen die Attraktivität des Reibungslosen. Dabei verlassen wir uns nicht auf Eigentore der Nazis, auch wenn über den Auftrittsabbruch einer Naziband selbstverständlich gelacht oder einfach geschmunzelt werden darf. Dem lässt sich in augenzwinkernder Empörung eigentlich nur anfügen: Da war noch Wiese frei, die wollen wir auch!
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